Bruder
Ted van Lieshout
Gebundene Ausgabe: 173 Seiten
Verlag: Middelhauve (1999)
ISBN-13: 978-3787696789
Klappentext
Im
September 1972 stirbt Marius. Er wurde nur vierzehn Jahre alt. Nach
sechs Monaten räumt die Mutter sein Zimmer endlich leer und beschließt,
seine Sachen zu verbrennen. Luuk, der Bruder, findet dabei das Tagebuch
von Marius. Vor einigen Jahren hat er es ihm zum Geburtstag geschenkt,
und er beginnt zu lesen. Noch einmal kommt es zu einer Annäherung an den
Verstorbenen: Luuk beginnt Marius' Aufzeichnungen zu kommentieren. "Du
bist ganz allein gestorben. Ich hoffe, du hast es nicht gemerkt, dass du
stirbst. Ich hoffe, dass du geschlafen hast. Oder dass du zufällig ein
letztes Mal geblinzelt hast und über deine Wimpern gestolpert bist.
Für
den Leser entwickelt sich ein sehr dichtes Bild der schwierigen
Beziehung zwischen den ungleichen Brüdern. "Kannst du noch jemandes
Bruder sein, wenn dieser Jemand nicht mehr lebt?" In der Rückschau
werden die ersten Symptome der tückischen Krankheit von Marius sichtbar,
seine vielen vergeblichen Bemühungen mit dem Bruder ins Gespräch zu
kommen. Und im Nachhinein stellt sich auch heraus, dass die beiden
Brüder sich mit demselben Problem, der Homosexualität, herumgeschlagen
haben.
In Deutschland erhielt der Niederländer Ted van Lieshout
für sein Jugendbuch Bruder die höchste Auszeichnung in seiner Sparte,
den Deutschen Jugendliteraturpreis 1999. Und in der Tat hat die Jury mit
dieser Wahl eine äußerst glückliche Hand bewiesen, denn Bruder gehört
uneingeschränkt zu den schönsten Jugendbüchern.
Frankys Kritik
Nach „Paul, mein großer Bruder“ von Håkan Lindquist
ist „Bruder“ ein Buch mit einem ähnlichen Thema. Auch hier findet eine
Annäherung zweier Brüder nach dem Tod des einen statt und das Tagebuch
des Toten spielt eine zentrale Rolle. Doch während sich in der
Geschichte von Lindquist die Brüder nicht gekannt haben und das
nachträgliche Kennenlernen im Mittelpunkt steht, geht es von Lieshout um
Abschied und die Bewältigung des Verlustes, um das Erkennen der eigenen
Sterblichkeit und die Erforschung des Wesens von Individuen, die man zu
kennen geglaubt hat. Luuk dringt immer tiefer in die spärlichen
Aufzeichnungen seines verstorbenen Bruders ein, erkennt erst jetzt ihre
Gemeinsamkeiten und lernt, sein eigenes Empfinden und Fühlen richtig
einzuordnen.
Das Ganze gestaltet Lieshout durch die Vermischung
zweier Tagebücher, die mehr und mehr ineinanderfließen und in ein
(fiktives) Zwiegespräch der Brüder mündet. Sehr gefühlvoll berichtet
Luuk vom langsamen Sterben seines Bruders und lässt uns erkennen, dass
mehr zurückbleibt, als nur die bloße Erinnerung an einen toten Jungen.
Für
ein Jugendbuch (für das ich den Roman nicht in erster Linie halte)
inhaltlich schon recht schwere Kost, die sich aufgrund der Sprache des
sechszehnjährigen Erzählers aber leicht lesen lässt, wenn auch über
weite Passagen mit einem Kloß im Hals. Einfühlsam, bewegend und trotz
des tieftraurigen Themas doch auch hoffnungsvoll stimmend.
Ruf mich bei deinem Namen
André Aciman
Taschenbuch: 288 Seiten
Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag (1. Juni 2010)
ISBN-13: 978-3423138949
KlappentextVöllig
unvorbereitet trifft Elio seine erste große Liebe: Oliver ist für sechs
Wochen bei Elios Familie an der italienischen Riviera zu Gast, wo der
Harvard-Absolvent sein Buch über Heraklit beenden will. Oliver, der wie
Elio jüdische Wurzeln hat, ist weltgewandt, intelligent, schön. Oliver
ist alles, was Elio will, vom ersten Moment an. Ein fast unerträgliches
Spiel von Verführung und Zurückweisung beginnt und wächst sich
allmählich zur Geschichte zweier Seelenverwandter aus, die wissen, dass
diese Liebe die vollkommenste und zugleich unmöglichste ihres Lebens
sein wird. In einem kurzen Sommer zwischen Obsession und Angst,
Verlangen und Verzweiflung suchen zwei Menschen nach dem Augenblick der
absoluten Erfüllung: dass jeder sich in den Andern verwandle.
Frankys Kritik
Ein
Buch, das mich hin- und hergerissen hat und bei dem ich mich mit einer
Beurteilung etwas schwer tue. Auf der einen Seite besitzt es durchaus
seine Momente, die mich gefesselt und fasziniert haben. Andererseits
machen es mir Form und Sprache nicht gerade leicht.
Beginnen wir einfach mit dem, was mir nicht gefällt:
Das
Buch besitzt keine Kapitel, sondern nur vier mehr oder weniger lange
Teile. Auch Absätze sucht man oftmals vergeblich. Das passt natürlich
zur Gedankenwelt Elios, die der Roman in einem nahezu endlos langen
Monolog wiedergibt, lässt sich aber häppchenweise (und wer hat schon die
Möglichkeit, ein Buch am Stück zu lesen) nur erschwert delektieren.
Die
Geschichte kreist weniger um die erwachende Liebesbeziehung der beiden
Protagonisten, als vielmehr um die Selbstzweifel Elios über seine eigene
Orientierung. Das spiegelt sich in der Sprunghaftigkeit seiner
sexuellen Begierden (und Taten) wider, reibt sich aber derart mit den
eigenen – gedanklichen – Liebesbekundungen und Wünschen, dass es
stellenweise nur schwer nachzuvollziehen ist.
Dementsprechend mag
es nur konsequent sein, dass eine Entwicklung der Protagonisten nicht
stattzufinden scheint. Man dreht sich im Kreise und ist am Ende des
Sommers wieder an dessen Beginn angekommen. Womöglich gewollt empfinde
ich als Leser diesen Zirkelschluss dennoch unbefriedigend. Nur im
letzten Teil, in dem die Figuren nach Jahren auf diesen gemeinsamen
Sommer zurückblicken, lässt eine späte Erkenntnis zu.
Gefallen
hat mir die Beschreibungen des Sommers, der Landschaft, der Annäherung
der Personen, welche die Hitze und die Leidenschaft regelrecht spürbar
machen. Die Momente des Glücks, der Gemeinsamkeit, des Zusammenseins
ziehen den Leser in ihren Bann. Auch schließlich der vierte und letzte
Teil weiß zu fesseln und weckt in mir sogar die stärksten Emotionen.
So
hinterlässt das Buch für mich einen bittersüßen Nachgeschmack von
Wehmut und den Wunsch, dass nicht nur diese Geschichte hätte ein wenig
anders verlaufen mögen.
Der Herr der Finsternis
Sergej Lukianenko
Taschenbuch: 416 Seiten
Verlag: Heyne Verlag (8. Juni 2010)
ISBN-13: 978-3453527119
Klappentext
Finsternis
liegt über der Welt, seitdem die Diener der Dunkelheit der Menschheit
das Sonnenlicht genommen haben. Doch als der junge Danka eines Tages
einen Lichtstrahl beobachtet, der sich vor seinen Augen in eine
geheimnisvolle Katze verwandelt, beginnt für ihn das Abenteuer seines
Lebens. Denn die Katze entführt ihn in ein fantastisches Reich, wo Danka
dazu ausersehen ist, den mächtigen Herrn der Finsternis zu besiegen –
oder für immer in der Dunkelheit zu bleiben ...
Frankys Kritik
Ein
Märchen, das auch von Erwachsenen mit Spannung gelesen werden kann. Die
Grundidee – Junge gelangt in eine Parallelwelt, die es zu entdecken und
zu retten gilt – ist nicht unbedingt neu. Lukianenko gelingt es aber,
diese andere Welt nicht nur phantasievoll und dicht zu beschreiben, er
trägt auch einige interessante Aspekte und Details zusammen. So
fasziniert die Beschreibung, dass heranwachsende Jungs zu „Flügelträger“
werden, und bei ihren Abenteuern durch die Lüfte fliegen. Der Autor
nimmt sich augenzwinkernd Anleihen bei diversen Jugendklassikern, sei es
Peter Pan oder die unendliche Geschichte, ohne diese aber zu kopieren.
Schnell wird der Leser in die Geschichte hineingezogen und er mag das
Buch gar nicht mehr aus der Hand legen.
Ein wenig Kritisches darf
trotzdem angemerkt werden. Zum einen erfahren wir sehr wenig über den
Hauptprotagonisten. Danka betritt die Bühne der Geschichte als ein
geradezu unbeschriebenes Blatt. Das behindert die im Buch angedeutete
Entwicklung ein wenig und läßt so manche Entscheidung des Jungen
unmotiviert erscheinen. Zum anderen hätte ich mich über eine, vom
üblichen Schema des finalen, gewaltsamen Schlusskampfes zwischen Gut und
Böse abweichende Lösung gefreut. Inhaltliche Möglichkeiten hätten sich
durchaus angeboten. Vor allem, da Lukianenko die Grenzen von Gut und
Böse im Verlauf der Geschichte zunehmend aufzuweichen vermag.
Interessant
ist die mit der fortschreitenden Handlung immer stärkere Konzentration
der Geschichte auf die Beziehung von Danka zu seinem neuen Partner in
der anderen Welt, die deutlich über eine Jungenfreundschaft hinaus zu
reichen scheint. Auch wenn sich der Autor in dieser Hinsicht jegliche
direkte Andeutungen versagt. Aus diesem Grund ist meine Einordnung
dieses Buches in die Kategorie "Schwule Bücher" auch mit
einem halben Augenzwinkern zu betrachten.
Paul, mein großer Bruder
Håkan Lindquist
Broschiert: 174 Seiten
Verlag: Gmünder; Auflage: N.-A. (2007)
ISBN-13: 978-3861874324
Klappentext
Eine
Liebe größer als ein Leben... Jonas hatte einen Bruder. Dieser starb
allerdings, bevor Jonas geboren wurde. Eines Tages findet er die alte
Jacke seines Bruders auf dem Dachboden. In einer der Taschen liegt ein
Brief. An wen ist er gerichtet? Und weshalb liegt der Brief in der
Jackentasche seines Bruders? Jonas hat viele Frage zu seinem Bruder, und
so beginnt er nach Anhaltspunkten und Erklärungen zu suchen. Schritt
für Schritt setzt sich daraus das Bild des Bruders zusammen. Jonas
begreift, dass dieser kurz vor seinem Tod eine intensive Liebesbeziehung
zu einem anderen Jungen unterhielt. Eine Liebesbeziehung, die fortlebt.
Frankys Kritik
Ein
Buch, dass sich flott weglesen lässt, eine Geschichte, die den Leser in
seinen Bann zu ziehen weiß. Die Detektivarbeit des jüngeren Bruders, der
mehr über den Jungen erfahren möchte, den er nie kennengelernt hat, mit
dem der sich aber mehr und mehr verbunden fühlt, macht aus dem kleinen
Sujet etwas ähnliches wie einen Krimi und verbindet ihn mit der
Liebesgeschichte des großen Bruders, die durch Erzählungen, Briefe und
ein Tagebuch noch einmal auflebt. Die Identifikation Jonas mit seinem
toten Bruder geht so weit, dass er Überlegungen tätigt, ob nicht ein
Teil von Pauls Wesen in ihm selbst weiterlebt. Das lässt sich alles sehr
schön lesen, und wurde mit viel Gefühl aber ohne Pathos auf die
Buchseiten gebracht. Als kleiner Kritikpunkt sei angemerkt, dass wir
sehr viel über Paul erfahren – der gestorben ist – aber nur sehr wenig
über Jonas – der noch lebt. Das ist schade, denn es macht Pauls Suche zu
einer Art Obsession, die eigene Gefühlen und Einsichten über die reine
Bruderliebe hinaus nicht zulässt. Womöglich mit ein Grund für die Kürze
des Buches, das den Wunsch nach mehr mit sich trägt. Trotz allem eine
schöne, eine bewegende und eine spannende Geschichte.
Das neue Buch Genesis
Bernard Beckett
Gebundene Ausgabe: 171 Seiten
Verlag: Script5 (15. September 2009)
ISBN-13: 978-3839001035
Klappentext
Dies
ist unsere Geschichte, wie man sie uns gelehrt hat. Das ist unsere
Genesis. Ein Land, abgeschottet vom Rest der Welt, am Ende des 21.
Jahrhunderts: Anax steht vor der Prüfungskommission der Akademie. Fünf
Stunden hat sie Zeit, um zu beweisen, dass sie würdig ist, in diese
mächtige Institution aufgenommen zu werden. Ihr Prüfungsthema kennt sie
so gut wie ihre eigene Geschichte: Adam Forde ist der Held ihrer
Kindheit, der Mann, dessen Rebellion die Geschichte ihres Landes für
immer prägte. Doch Anax weiß längst nicht alles über die Rolle, die Adam
gespielt hat. Sie muss einsehen, dass die Geschichte, wie sie sie
kennt, eine Lüge ist. Und dass die Akademie nicht ist, was sie scheint.
Ein meisterhaft gestrickter Roman über das Wesen des Menschseins mit
einer verstörenden Auflösung.
Frankys Kritik
Schon
wieder ein kurzes Buch, mit denen ich mich bekanntlich schwer tue. Doch
die Geschichte besticht durch einen interessanten Ansatz und mit einer
ungewöhnlichen Form. In fünf Stunden mündlicher Prüfungszeit erfahren
wir rückblickend alles über einen Volkshelden, sein Leben und sein
Wirken in einer Art Zwiegespräch zwischen Prüfling und Prüfer. Dabei
breitet sich das Panoptikum einer Dystopie vor uns aus, eine
postapokalyptische, isolierte Gesellschaft wird beschrieben. Dabei
wandelt sich das Thema von Buch und Prüfung langsam von der (fiktiven)
Geschichtsschreibung über die Heldenbiografie hin zu einem Diskurs über
Ethik und künstliche Intelligenz.
Der doppelte Twist am Ende des
Buches wirkt so überraschend nicht, da man bereits im Klappentext auf
eine ungewöhnliche Auflösung hingewiesen wird. So empfand ich das Finale
eine wenig knapp geraten. Der Autor wollte sich vermutlich nicht mit
langwierigen Erklärungen die Wucht der Überraschung nehmen lassen.
Deshalb bleibt einiges ein wenig in der Luft hängen und muss vom Leser
selbst zusammengereimt werden.
Als Kritikpunkt sehe ich, dass die
Figur der Hauptprotagonistin ein wenig farblos bleibt. Man erfährt
recht wenig über ihr Vorleben und ihre Meinung, da letztere innerhalb
der Prüfung außen vor zu bleiben hat. Diese Unterlassung ist angesichts
des Finales durchaus verständlich, wäre erzähltechnisch aber durchaus
lösbar gewesen.
So bleibt ein interessantes Buch mit einem interessanten Thema, das eigentlich nach etwas mehr verlangt.
Abel
Anneke Scholtens
Gebundene Ausgabe: 137 Seiten
Verlag: Männerschwarm; Auflage: 1., Aufl. (März 2007)
ISBN-13: 978-3939542032
Klappentext
Während
der Schulzeit hat Bart eine Erfahrung gemacht, über die man besser
nicht spricht: sein bester Freund hat sich in ihn verliebt. Das ist
peinlich und macht Angst. Nicht, weil man den anderen nicht mag, sondern
weil der andere ein Junge ist. Als dann die Mitschüler anfingen, die
beiden als Liebespaar zu verspotten, war endgültig Schluss. Jahre später
erfährt er von Abels plötzlichem Tod. Erinnerungen kommen hoch und Bart
hat Schuldgefühle, weil er Abel zurück gewiesen hat, weil seine
Freundschaft nicht stark genug war, um die mehr als schüchternen
Annäherungsversuche zu verkraften. Noch jetzt kann er seiner Freundin
nicht die Wahrheit sagen, doch Roos merkt schnell, dass er eine Leiche
im Keller hat, und reagiert wütend auf sein ständiges Ausweichen. Bei
Abels Beerdigung zeigt sich, dass auch Eltern und Mitschüler auf recht
eigenartige Weise mit der Vergangenheit umgehen.
Frankys Kritik
Eigentlich
mag ich keine kurzen Bücher. Und dieses Buch ist kurz, verdammt kurz.
137 Seiten bei einem sehr großzügigen, fast schon verschwenderischen
Satzspiegel könnten im Taschenbuchformat leicht auf gerade mal 60 Seiten
untergebracht werden. Trotzdem haben wir es auf Grund der textlichen
Form mit einem Roman zu tun, der sich sprachlich sehr locker herunter
liest. Inhaltlich wird man allerdings öfters einmal gezwungen, kurz inne
zu halten, um das gerade gelesene zu reflektieren. Es ist schon
erstaunlich, wie viel die Autorin in diesem kurzen Text hat unterbringen
können. Ein Coming Out aus der Sicht des heterosexuellen, besten
Freundes, dem die Liebe gilt, der sie aber nicht erwidern kann, weicht
zudem vom üblichen Aufbau einer solchen Geschichte ab. Der deutsche
Titel konzentriert sich durch die sich aufdrängende Analogie zu Kain
& Abel auf die Schuldfrage, was meiner Meinung nach nicht
gerechtfertigt ist. Der Originaltitel – übersetzt „Er war mein Freund“ –
gefällt mir da besser.
Zusammengefasst ein Büchlein, das mir
deutlich länger im Gedächtnis bleiben wird, als ich daran gelesen habe.
Das können nicht allzuviele Bücher von sich behaupten.